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Super Bowl Halftime Show 2022: Bühne mau, Sound Mist und trotzdem Legende

Posted in: News

Dr. Dre, Snoop Dogg, Kendrick Lamar, Mary J. Blige, 50 Cent, Eminem – und dann auch noch Anderson .Paak an den Drums. Bei diesem Line-up der Super Bowl Halftime Show konnte trotz mauer Inszenierung einfach nichts schiefgehen. Dass die Show außerdem die Rechtsaußen von White America vor Wut schäumen lässt, ist vielleicht der schönste Effekt.

Ein besorgter, amerikanischer Twitter-User mit Rechtsdrall, den wir hier nicht verlinken wollen, ist da einer großen Sache auf der Spur. Er postete nur wenige Minuten vor dem Ende des Super Bowl Matches wutschäumend, aber mit den passenden „Beweisfotos“ bewaffnet: „Anyone else notice the total lack of racial diversity in backup dancers and, except for Eminem, the performers during the #SuperBowlLVI #superBowlhalftime half time show? Eminem then took the knee, against racism, during an event that was totally exclusive of other races? WTF“. Ach, wenn diese ganze rassistische, populistische Seuche, hüben wie drüben, nicht so tragisch und gefährlich wäre, wäre sie ja in solchen Momenten fast lustig. Und beim Super Bowl, auf den sich in den Staaten gefühlt irgendwie alle einigen können, kann man dann halt gut ablesen, wie es um Amerika steht, wenn die rechten Trolle ihre Tippfinger wetzen und sich bei Twitter und Co. austoben. Außerdem ist die Profiliga NFL mit ihren Teams schon an sich ein explosives Konstrukt: Rund 70 Prozent der Spieler sind Schwarz – und trotzdem haben die weißen NFL-Bosse lange Zeit immer eher dem weißen Amerika zugehört, das einen Großteil ihres Publikums ausmacht. Auch die Tatsache, dass von 35 Teams nur fünf einen Schwarzen Coach haben, spricht Bände. Und dann wäre da ja noch der Umgang mit Colin Rand Kaepernick, der hart bestraft wurde, weil er 2016 bei der ach-so-heiligen US-Hymne als Zeichen der Solidarität mit Black Lives Matter einen Kniefall machte.

Dieser kleine Exkurs ist wichtig, weil er direkt zu einem der ikonischsten Momente dieser Half Time Show führen wird – und ebenfalls direkt zu diesem spektakulären Line-up. In den letzten Minuten der Show ging Eminem auf die Knie und verharrte dort für gut 30 Sekunden. Ein Moment, den man in der wuseligen Live-Übertragung beinahe übersehen hätte. Während Eminem kniete, saß dessen Mentor und Produzent Dr. Dre an einem weißen Flügel und spielte den Beginn von „I Ain’t Mad at Cha“ von Tupac – ganz so, als wolle er ihm seinen Segen für die Aktion geben und sie damit legitimieren. Eminem ist immerhin der einzige Weiße während der kompletten Show – da hätte die Aktion schnell anbiedernd wirken können ohne die Geste von Dre. Die Reaktionen kamen prompt: Während einige schwarze Football-Fans sich zu Recht aufregten, dass die Online-Medien Eminem vorschnell zum Helden stilisieren, gingen konservative und faschistische Kommentatoren auf die Barrikaden und schrieben Eminem Dinge wie: „We will make you pay for your wokeness.“

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Die NFL ließ übrigens recht schnell verlauten, diese Aktion sei abgestimmt gewesen. Der NFL-Sprecher Brian McCarthy erklärte offiziell: „Wir haben alle Elemente der Show über mehrere Proben unter der Woche gesehen und uns war bewusst, dass Eminem das machen würde.“ Das Statement passt zu dem Gefühl, dass die NFL in diesem Jahr irgendwie etwas gut machen wollte. Es war das erste Mal, dass die Show ganz im Zeichen des Hip-Hops stand – obwohl Rap wohl das meistgehörte Genre unter den Spielern und Fans ist. Und es war natürlich ein Zeichen in Richtung der Black Community.

Dementsprechend wuchtig war das Line-up, dass allein schon durch das „Gruppenfoto“ am Ende der Performance historisch wurde. Dr. Dre, Snoop Dogg, Kendrick Lamar, Mary J. Blige, Eminem – und dann auch noch 50 Cent mit einer Kurz-Version von „In Da Club“ und Anderson .Paak an den Drums als Special Guests – das war fast ein wenig too much für den gut 15-minütigen Slot.

Auch die Inszenierung hatte ihre Schwächen: die Rapper, der Produzent und die großartige Sängerin performten auf weißen Containern, die aussahen wie eine Mischung aus Barbie-Spielhaus und Backstage-WC-Container. Diese standen auf einem riesigen Teppich, der Los Angels in einer Satteliten-Draufsicht zeigte. Eine schöne Idee, bloß doof, dass die Kameras das nie so richtig einfingen. Aber für ein paar gute Tweets taugte es allemal:

Mary J. Blige sang im Anschluss „Family Affair“ und „No More Drama“, wie alle Acts in kürzeren Versionen. Zwei Überhits einer Über-Sängerin, der man noch gerne ein paar Lieder länger zugehört hätte. Wer hoffte, Kendrick Lamar haut eventuell mal neue Musik raus als Teil der Show wurde leider enttäuscht, aber mit zwei seiner besten Tracks beschenkt: „m.A.A.d City“ und „Alright“. Letztgenannter Song war natürlich eigentlich das stärkere politische Statement des Abends, denn „Alright“ von seinem Meisterwerk „To Pimp A Butterfly“ (2015) wurde in den letzten Jahren zur inoffiziellen Hymne der Black Lives Matter-Aktivist:innen. Es war außerdem der „jüngste“ Song des Abends.

Nachdem Dre mit Kendrick und Eminem „Forget About Dre“ spielte, begann Eminem auf einem der äußeren Container „Lose Yourself“, an dessen Ende der Kniefall stand. Das Finale gebührte dann der kompletten Crew: „Still Dre“ wurde vorgetragen von Dr. Dre feat. Snoop Dogg, Mary J. Blige, 50 Cent, Kendrick Lamar und Eminem, während Anderson .Paak als Teil der Begleitband immer wieder wild und breit grinsend sein Drumkit bearbeitete.

Wie so oft bei einer Halftime Show bleibt direkt nach der Live-Übertragung ein Gefühl von Reizüberflutung und ein wenig Enttäuschung, weil man sich das Ganze doch noch ein wenig spektakulärer vorgestellt hatte. Was in diesem Fall nicht an den Acts lag, sondern an der seltsamen Bühnenkonstruktion – und vielleicht auch an der Tatsache, dass die Show bei Tageslicht stattfand. Wer die Live-Übertragung im deutschen Fernsehen sah, wurde außerdem noch einem beschissenen Sound bestraft. Die ersten zwei Songs gab es nur im Mono-Sound und zudem völlig zeitversetzt mit dem Treiben auf der Bühne. Die Bühnen-Container wirkten die ganze Show über blass und lieblos und weil dort so viel passierte, gingen die Dutzenden schwarzen Tänzer:innen drumrum leider ein wenig in der Regie unter. Aber machen wir uns nix vor: Diese Show ist ja eh nicht (nur) für das Publikum im Stadion und vor den Fernsehern und Live-Streams, sondern vor allem für das Internet, dass die Performance heute und in den kommenden Tagen bewerten, in Memes gießen, kommentieren und diskutieren wird. Und für diesen Prozess gab es definitiv genug Futter – wie man es diesem Artikel hoffentlich anmerkt.

Ach ja: Die Gastgeber der Los Angeles Rams gewannen übrigens durch einen Touchdown kurz vor Schluss mit 23 zu 20 gegen die Cincinatti Bengals. Ein wirklich spannendes, und knappes Spiel.

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